Die Weißbeerige Mistel
L.
Die Mistel ist ein kugelförmig aufgebauter, immergrüner Strauch, der
überwiegend auf weichholzigen Laubbäumen -Viscum album L.- und
Nadelbäumen -Viscum album subsp. abietis (Wiesb.) Janch.-
siedelt und sich mit Saugwurzeln am Wasser und an den Nährsalzen seines
Wirtes bedient. Sie ist Halbschmarotzer, da sie mit ihrem grünen
Pflanzenleib zur Assimilation befähigt ist und dadurch selbst
Kohlehydrate aufbauen kann. Dennoch wird ein Baum, ist er übermäßig
befallen, mit der Zeit geschwächt und krank.
Die kugelförmige
Gestalt, die bis zu 1m Durchmesser erreichen kann, entsteht durch die
typische Gabelteiligkeit von immer gleichen Sprossteilen. Jedes
Sprossstück hat zwei Blätter, aus deren Achseln wiederum solche
Sprossstücke hervorgehen. Betrachtet man einen unter Idealbedingungen
gediehenen, schon etwas älteren Mistel-Strauch - sie werden bis zu 20
Jahre alt - erkennt man an seiner Kugelform kein Oben und kein Unten,
als spiele es für die Pflanze keine Rolle, wo sich Erde und Himmel
befinden (nahezu alle anderen höheren Pflanzen streben dem Licht
entgegen).
Auch die spateligen, dickfleischigen und immergrünen, Blätter
sind stets 2-paarig angeordnet. Von einer Blattmetamorphose kann keine
Rede sein, da die Blätter alle gleich aussehen. Auch die Blattoberseite
unterscheidet sich nicht von der Unterseite des Blattes.
Die Mistel
ist eine zweihäusige Pflanze, d.h. es gibt Pflanzen mit weiblichen
Blüten und andere mit männlichen Blüten. Schon im Februar beginnt die
Blütezeit. Die grünlich-cremefarben Blüten sind sehr unscheinbar. Sie
sind für den Laien kaum als solche identifizierbar, doch sie duften und
sind nektarreich und bieten so für die ersten Insekten im Jahr Nahrung.
Was andere Blütenpflanzen mit ihren bunten Blütenblättern bewirken, das
versucht die Mistel im Winter mit ihren Stängeln und Blättern auch,
indem sie an besonnten Stellen ihr Blattgrün abbaut und so die gelbe bis
orangefarbene oder gar goldene Färbung ausbildet. Ihre Blüten können
unscheinbar sein, weil sich die ganze Pflanze färbt, um nach der
Blütezeit wieder zu ergrünen.
Die Staubbeutel der männlichen Blüten sitzen den vier kleinen
Blütenhüllblättern als Polster auf. Die Fruchtblüten der weiblichen
Pflanzen sind noch kleiner. Aus dem Stängelteil unterhalb der
Blütenhülle entsteht im Laufe der Vegetationszeit die weiße Beere, die
erst im darauf folgenden Winter reif wird. Sie enthält einen oder zwei
Samenkerne, die von schleimig-klebrigem Fruchtfleisch umgeben sind. Auf
diese schleimige Klebrigkeit bezieht sich der Name Viscum (Die
Viskosität ist ein Maß für die Zähflüssigkeit).
Für
die Samenverbreitung bedient die Mistel sich der Vögel, insbesondere der
Misteldrosseln, welche die Beeren fressen. Der Samenkern passiert deren
Verdauungstrakt ohne Schaden zu nehmen, bleibt bei der Ausscheidung am
After des Tieres hängen und muss von diesem abgestreift werden, was
natürlich meistens an einem Ast eines Baumes geschieht. Andere Vögel
fressen nur die Haut der Mistelbeere. Das lästig-klebrige Fruchtfleisch
samt dem Samen bleibt am Schnabel hängen und der Vogel versucht sich
dessen durch Schnabelwetzen am Ast zu entledigen. In beiden Fällen
gelangt das Samenkorn mit großer Wahrscheinlichkeit auf einen günstigen
Lebensraum. Die schleimige Masse mit dem Samen klebt am Ast eines Baumes
und trocknet fest.
Bei der Keimung der Mistel tritt aus dem am Ast
klebenden Samenkorn ein kleines wurzelähnliches Glied, das sich krümmt
und wieder in Richtung der Rinde des Astes strebt, um sich dort zunächst
mit einer Haftscheibe zu fixieren. Im nächsten Frühling treibt der
Mistelkeimling eine Art Primärsenker aus der Haftscheibe durch die Rinde
des Astes und wenn dieser Primärsenker den wasserleitenden Holzkörper
seiner Wirtspflanze angezapft hat, kann sich der Keimling aus seinem
angeklebten Samenkorn befreien und aufrichten. Ihre Saugwurzel bohrt die
Mistel nicht weiter ins Holz, sondern durch das
Dickenwachstum des Baumes gelangt sie immer tiefer in das Holz des Astes.
Diese eigentümliche Pflanze wird schon seit Jahrtausenden als Heil-, Kult- und Mythospflanze verehrt: Besonders die sehr seltene, auf Eichenbäumen vorkommende Mistel war den Druiden heilig. Nur der Druide des Stammes durfte sie während eines feierlichen Kultus mit einer goldenen Sichel (Symbol der Sonne) oder mit Pfeil und Bogen vom Baum ernten, um sie zu einem heiligen Allheilmittel zu verarbeiten.
Wenn einer Pflanze in der Vergangenheit so viel Aufmerksamkeit
gewidmet wurde, so wird man nach ihren Heilwirkungen nicht lange
forschen müssen.
Bis zum fünften Jahrhundert vor Christus lässt sich
die medizinische Anwendung der Mistel zurückverfolgen und in früheren
Zeiten war die medizinische Anwendung von kultischen Handlungen nicht zu
trennen.
Mit der wissenschaftlichen Untersuchung der
Mistelwirkstoffe wurde erst im 19. Jahrhundert begonnen.
Apotheker
M. Pahlow nennt in seinem Heilpflanzenbuch folgende Anwendungsgebiete:
-Unterstützende Therapie bei Bluthochdruck
-zur Stärkung des
geschwächten Herzens, zusammen mit Weißdorn
-Arthrose
-zur
Stärkung der Abwehrkräfte bei Rekonvaleszenten nach schweren
Infektionskrankheiten
Auch in der Homöopathie wird die Mistel
gegen verschiedene Leiden angewendet, seit Anfang des 20. Jahrhunderts
wird sie dort in der Krebstherapie eingesetzt.
Sicherlich kann
man sich nun denken, dass es zur Gewinnung von Wirkstoffen aus der
Mistel nicht gleichgültig ist, wo und auf welchem Baum eine Mistel
gewachsen ist und dass die Eichenmistel sich als besonders wertvoll
profiliert hat.
Je nach Wirtsbaum können die Beeren der Mistel
unterschiedlich giftig sein, was bei Misteln die auf Apfelbäumen wachsen
am wenigsten der Fall sein soll (in der Familie der Rosaceae, in die
auch der Apfelbaum gehört, finden wir keine stark giftigen Pflanzen,
sondern die meisten Früchte der menschlichen Nahrung).
Edda / Der Baldur-Mythos
Der Götterliebling Baldur, der Gott für Sonne, Licht und Frühling,
wurde von schrecklichen Albträumen geplagt, die prophezeiten, dass er
sterben müsse. Das veranlasste seine Mutter Frigg allen Geschöpfen der
Erde das Gelöbnis abzunehmen, Baldur nichts anzutun. Im Übermut
vergnügten sich die Götter mit Pfeilen nach Baldur zu schießen, da
dieser nun unverwundbar schien. Da aber die Mistel kein "Geschöpf der
Erde" ist, konnte ihr das Gelöbnis nicht abgenommen werden und ein
Pfeil aus Mistelholz tötete Baldur.
Seit dieser Zeit steht die
Mistel unter der Obhut der Göttin Freya, der Göttin der Liebe,
Fruchtbarkeit und Ehe.
Vor diesem Hintergrund ist nun auch der alte Brauch sehr schön, dass im Winter zur Weihnachtszeit, in den Wohnungen der Menschen Mistelzweige aufgehängt werden, als Zeichen der Zuversicht, trotz der momentanen Dunkelheit, dass uns das kosmische Licht, die Kraft der Sonne, nicht verlassen wird, dass die Liebe nicht vergehen wird. Darum ist es auch jungen Menschen erlaubt, sich unter einem solchen Zweig zu küssen.